Viele Sportler erreichen früher oder später einen Punkt in ihrem Training, an dem sich keine Fortschritte mehr einstellen wollen. Im schlimmsten Falle wird nun versucht, bessere Ergebnisse zu erzwingen – nicht selten mit der Folge, dass es auf der Strecke zu Unfällen und hartnäckigen Verletzungen kommt. Hilfreich soll dagegen die Anwendung der 80/20-Formel sein. Doch was genau ist das eigentlich und wie kannst Du das Konzept in Deinen Trainingsplan einfügen?
80 20 Regel und die Herausforderung, sich selbst zu zügeln
Sport kann auf das Gehirn wie eine Droge wirken: Egal, ob Du Dich für das Laufen im Wald, das Radfahren auf glatten Straßen oder das Schwimmen im erfrischenden Wasser entschieden hast – die regelmäßigen Bewegungen können Glückshormone in Deinem Körper freisetzen und dazu beitragen, dass Du Dich trotz mancher Anstrengung gut fühlst.
Gerade Neueinsteiger und Profis, die gezielt für einen Wettkampf trainieren, gewinnen daraus ihre Motivation und auch Social Media mit der sozialen Anerkennung kann Dich motivieren.
Doch Vorsicht, im Überschwang der Gefühle verlieren viele Sportler ihre Leistungsgrenze aus den Augen. So gelingt es ihnen zwar anfangs, gute Ergebnisse zu erzielen, vielleicht sogar die persönlichen Bestmarken zu durchbrechen. Wer aber häufiger derart intensiv trainiert, dass er zu oft auf der Strecke läuft oder dabei ein zu hohes Tempo erreicht, tut sich nicht Gutes und riskiert durch Verletzungen herbe Rückschläge zu erleiden.
Weniger ist manchmal mehr
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Du hin und wieder neue Reizpunkte in Dein Fitnessprogramm integrieren möchtest oder wenn Dir beim Sport vielleicht der Sinn danach steht, Dich mal wieder so richtig zu verausgaben. Nur übertreiben solltest Du es dabei nicht. Denn für Deine Fortschritte ist die Trainingseinheit selbst lediglich eines von mehreren wichtigen Kriterien, die Du im Auge behalten musst.
Ein anderes ist die Regeneration: Je weniger Erholungsphasen Du Deinem Körper zugestehst, desto stärker wird er auf die intensive Belastung reagieren. Anfangs vielleicht mit etwas Müdigkeit und einem Zwicken in der Wade. Ignorierst Du auch diese Symptome, wächst im Laufe der Zeit aber Deine Anfälligkeit für Verletzungen oder sogar für chronische Leiden. Es ist wichtig zu verstehen, daß ein gutes Training aus dem Zusammenspiel von lockeren Trainingseinheiten, intensiven Trainingseinheiten und der richtigen Erholung ist. Wer in jedem Training komplett an seine Grenzen geht, wird im Wettkampf schlechtere Ergebnisse bringen, als derjenige, der versteht, daß die unterschiedlichen Intensitäten der Schlüssel zum Erfolg sind.
Die Qual der Wahl bei den Trainingsplänen
Sicherlich stehst Du mit diesem Problem nicht alleine da. Athleten weltweit bewegen sich auf dem schmalen Grat, einerseits herausfordernd zu trainieren, andererseits jedoch Ruhe und Entspannung als wesentliche Elemente ihres Sports zu akzeptieren. Und wer die optimale Balance zwischen beiden Aspekten nicht hinbekommt, dem stehen immer noch die zahlreichen Ratgeber zur Verfügung, die als Buch oder als Video gute Tipps geben wollen, wie Du Deinen persönlichen Trainingsplan erstellen kannst, der allen Deinen Wünschen und Bedürfnissen gerecht wird.
Sollte Dir das noch immer nicht genügen, musst Du unbedingt Dr. Stephen Seiler kennenlernen. Der Sportwissenschaftler lehrt und forscht an der Universität der norwegischen Stadt Agder – und er gilt als Begründer der 80/20-Formel.
Was ist die 80/20 Regel?
Seiler hat sich über viele Jahre hinweg der Frage gewidmet, warum erfolgreiche Sportler ihr hohes Niveau erreichen konnten, während die meisten Hobbyathleten irgendwann an einem bestimmten Punkt ankommen, an dem ihre Leistung stagniert oder sogar rückläufig ist. Zu diesem Zweck hat er tausende von Trainingsplänen gelesen und verglichen. Die recht simple Lösung: Jene Läufer, Schwimmer und Radfahrer, die besonders ambitionierte Ziele verfolgen, bauen relativ viele Regenerationsphasen in ihr Fitnessprogramm ein. Mehr noch, sie trainieren zum überwiegenden Teil bei geringer bis mittlerer Intensität und verausgaben sich dagegen nur selten einmal.
Das Verhältnis zwischen den beiden letztgenannten Punkten beziffert Seiler auf 80:20. Dabei werden 80 Prozent des Trainings moderat durchgeführt, lediglich bei den übrigen 20 Prozent gehen die Sportler an ihre Leistungsgrenze.
80/20 Trainingsplan: So absolvierst Du 80 Prozent des Trainings
Vermutlich kennst Du die ganzen Tipps, die vor allem Laufanfängern mit auf den Weg gegeben werden: Das Laufen sollte so langsam erfolgen, dass sich die Läufer dabei mühelos unterhalten können, ohne außer Atem zu geraten. Und genau diese Vorgabe gilt auch beim 80/20-Konzept: 80 Prozent Deiner Läufe führst Du in einem Tempo durch, das Du ganz einfach erreichen und halten kannst.
Nutzt Du eine Pulsuhr, so darfst Du sie als wertvolle Hilfe einsetzen, denn der Tracker zeigt Dir genau an, wie stark Dein Herz schlägt und ob Du im der richtigen Herzfrequenzzone trainierst. Am besten läufst Du bei niedriger bis mittlerer Intensität, sodass Du keine intensive Anstrengungen spürst und auch beim Trainingsende das Gefühl hast, daß Du noch reserven hast. Lass Dich dabei von den langsamen Zeiten nicht irritieren: Sie sind ein Teil des Plans.

80/20 Trainingsplan: Hoher Puls bei den übrigen 20 Prozent des Trainings
Gehst Du in der Woche fünfmal laufen, dann sollten vier Deiner Läufe also gemächlich erfolgen. Die übrigens 20 Prozent – in diesem Beispiel ein Lauf – werden dagegen etwas anders geplant. Denn hier absolvierst Du die sogenannten Temposteigerungen oder ein intensives Intervalltraining. Bei diesen Trainingseinheiten bewegst Du Dich in einer Herzfrequenz, die bereits im anaeroben Bereich liegt. Das heißt, dass Du beim Laufen nicht genug Sauerstoff über die Atmung aufnehmen kannst, um den Körper komplett mit Energie zu versorgen. Solche Einheiten kannst Du meist nur wenige Minuten durchhalten, da sie bald zu anstrengend werden und Dir buchstäblich den letzten Atem rauben. Deswegen werden diese Trainings häufig als Intervalle geplant, wo man z.B. erst für eine Minute sehr schnell läuft und danach wieder 4 Minuten sehr ruhig, um Luft für die nächste schnelle Minute zu sammeln.
Nicht notwendig ist es dagegen, konstant im Maximalbereich zu trainieren. 80/20 bedeutet somit, dass Du acht von zehn Läufen bei geringer Belastung und zwei von zehn bei hoher Belastung absolvierst.
Die Vorteile der langsamen Läufe
Dr. Stephen Seiler ist natürlich nicht der erste Wissenschaftler, der sich für das Joggen bei niedrigem Tempo einsetzt. Vielmehr steht er in einer langen Reihe an Forschern, die sich mit dieser Form des Laufens auseinandergesetzt und dabei festgestellt haben, dass die geringe Geschwindigkeit zahlreiche Pluspunkte in sich vereint. So führt sie nur selten zu Verletzungen oder einer Überanstrengung des Körpers. Ebenso erlaubt sie ein bewusstes und auf die korrekte Atmung fokussiertes Training. Sie unterstützt zudem die Erholung und hilft dem Organismus dabei, die an Bauch, Hüften und Gesäß eingelagerten Fettreserven als Energiequelle zu nutzen. Abschließend profitiert auch Dein Kopf, der bei einer ruhigen Sporteinheit besser entspannen kann. Auch für mich hat es ewig gedauert, dieses Trainingsprinzip wirklich anzuerkennen und dank meines Trainers Piet Könnicke, bin ich aber ein immer besserer Läufer geworden – und das hauptsächlich, weil ich gelernt habe, langsam zu laufen.
Neue Reizpunkte dank hoher Intensität
Doch wenn das Laufen bei niedrigem Tempo bereits so viele Vorteile kennt, warum sollten dann überhaupt 20 Prozent des Trainings im gehobenen Pulsbereich durchgeführt werden? Die simple Antwort: Weil auch schnelles Laufen gut für die Gesundheit sein kann. Einerseits hilft es Dir dabei, den Muskelaufbau voranzutreiben. Andererseits kann es dazu beitragen, Dein Lungenvolumen zu erhöhen – wodurch Dir beim Sport künftig mehr Luft bei jedem Atemzug zur Verfügung steht. Solche regelmäßigen Reizpunkte im Fitnessprogramm sind sinnvoll, wenn Du hin und wieder Deine Grenzen ausloten und bald vielleicht schon Geschwindigkeiten erreichen willst, die Dir heute noch utopisch erscheinen. In gewisser Weise signalisierst Du dem Körper damit auch die Richtung, in die er sich entwickeln soll.
Erst die Kombination führt zum Erfolg
Dr. Seiler und viele seiner Kollegen haben über Jahrzehnte hinweg geforscht, in welchem Verhältnis das Training mit geringer und das Training mit hoher Belastung zueinander aufgebaut werden sollten. Als beste Option, alle Vorteile zu genießen, hat sich die 80/20-Regel etabliert. Sie ist sowohl dem mehrheitlich langsamen als auch dem überwiegend schnellen Training überlegen. Sportler, die diese Formel regelmäßig anwenden, erzielen überdurchschnittlich gute Fortschritte, sie bauen die Muskelmasse und zugleich die Lungenkapazität auf, sie vereinfachen die Fettverbrennung durch den Organismus – und sie erzielen auch deutlich bessere Zeiten beim Laufen. Darüber hinaus kann das Training zu einer Senkung der Herzschlagfrequenz führen und somit allgemein zu Gesundheit und Wohlbefinden beitragen.
Du bist Dein eigener Trainer
Allerdings weisen Dr. Seiler und andere Sportwissenschaftler auch darauf hin, dass die 80/20-Regel lediglich eine Hilfestellung beim Laufen ist. Keinesfalls musst Du Dein Training strickt nach dieser Formel ausrichten. Folglich kannst Du auch innerhalb einer Joggingrunde zwischen schnellen und langsamen Geschwindigkeiten wechseln, Dich in unterschiedlichen Pulsbereichen bewegen oder genau so laufen, wie es Dir in dem Moment richtig erscheint. Dennoch ist es ratsam, das Verhältnis von 80 zu 20 zumindest langfristig im Auge zu behalten und nur etwa ein Fünftel Deiner Läufe so zu gestalten, dass Du außer Atem gerätst. Du wirst bald merken, dass die Methode sinnvoll ist und sich erste Erfolge meist schon nach wenigen Monaten einstellen. Je besser Du das Konzept befolgst, desto mehr Fortschritte erzielst Du beim Sport.
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