Wahrscheinlich kennt Ihr Robert durch sein Laufoutfit. Mit einem Zylinder auf dem Kopf und im Rennanzug mit Nadelstreifen – so ist Robert bei Laufveranstaltungen in Berlin, Brandenburg aber auch weltweit unterwegs.
Wenn Robert läuft, ist aber nicht nur das Laufoutfit besonders. Die Durchsagen der Moderatoren am Start bei einem Rennen, die Stimmung am Straßenrand beim Marathon oder die Gespräche an der Verpflegungsstation – das alles hört sich für Robert anders an. Robert ist der gehörlose Marathonläufer.
Für mich als hörenden Läufer war es daher unglaublich spannend, einmal die andere Perspektive auf den Laufsport kennenzulernen und ich habe mich riesig gefreut, daß Rob sich die Zeit für dieses Interview genommen hat und uns an seinem Blickwinkel und seinen Eindrücken teilhaben lässt.
Robert, kannst Du mir ein bisschen was zu Dir erzählen? Wie ist es zum Hörverlust gekommen?
Seit meiner Geburt war ich eigentlich normalhörend, aber nach 3 Monaten hatte ich eine Mittelohrentzündung. Meine Mutter hatte diese Krankheit leider erst viel zu spät bemerkt und dadurch kam es zum Hörverlust.
Trotz mit meiner Hörbehinderung, wo ich hochgradig schwerhörig bin, komme ich im alltäglichen Leben mit Hilfe beiderseits tragender Hörgeräte prima klar. Ohne diese Hörhilfsmittel bin ich völlig taub.
In der Vorschul- und Schulzeit habe ich viel Hör- und Sprachtraining bekommen. Dafür bin ich bis heute sehr dankbar, da ich so in der heutigen, hörenden Gesellschaft doch mit der Kommunikation klarkommen kann.
Meine Eltern sind gehörlos und es hätte auch Vererbung sein können – das ist in meinem Fall aber nicht so. Ich kenne aber Einige, die in der Familie 3-4 Generationen vollkommen durch Vererbung gehörlos sind.
Wie bist Du zum Laufen gekommen?
Zum Laufen bin ich erst gekommen, als ich 2012 von meinem Arbeitgeber das Angebot erhalten habe, an einem Laufevent teilzunehmen. Es war der Bundestagslauf und es gab zwei Disziplinen – 3,6 km oder 7,2 km.
Ich hatte einfach aus Neugier mitgemacht und das war dann der Auslöser. Mit der Zeit lief ich ein paar Jahre neben meinen regelmäßigen Trainingsplänen die kleinen Wettkämpfe von 5 bis 10 Kilometer mit. Einfach mal nur, um Spaß am Laufen zu haben.
Im Jahr 2015 war ich zur Kur und da gab es regelmäßiges Joggen am frühen Morgen. Ab diesem Moment habe ich mir dann vorgenommen, mehr rund ums Abnehmen zu tun und beim regelmäßigen Laufen mitzumachen. Nun bin ich die ganze Zeit bis heute immer am Ball geblieben mit dem Laufen und für mich ist Laufen inzwischen wie tägliches Zähneputzen…
Wie bist Du zu Rob, dem Deafrunner geworden?
Als ich viele Laufblogs, wie auch Deinen, angeschaut und gelesen habe, überlegte ich lange, ob ich auch mal meine Laufberichte in einen eigenen Blog online stellen sollte. Dazu brauchte ich natürlich einen passenden Blognamen und ich habe bei einigen anderen Laufbloggern nachgefragt, was am besten für mich als Spitzname passen würde.
Es blieb dann eigentlich nur eine Sache übrig und das hat mit meiner Gehörlosigkeit zu tun. Da fiel einfach auch schon der Begriff Deafrunner. Das passt zu meiner Hörbehinderung und ist bis heute überall ein auffälliges Merkmal.
Darüber hinaus bin ich stolz, als gehörloser Läufer in der Läuferwelt aktiv zu sein. So kam es dann zu diesem Spitznamen und auch zum Namen für den Deafrunner-Blog.
Was waren und sind die größten Hürden für Dich als Gehörloser beim Laufen?
Gute Frage! Eigentlich gibt es kaum Hürden beim Laufen für Gehörlose. Gehörlose erleben die Welt grundlegend anders als Hörende. Sie können keine Geräusche beim Laufen hören, wie ein vorbeikommendes Flugzeug, Vogelgezwitscher, Baustellenlärm auf den Straßen und vieles mehr. Ich habe als erfahrener, gehörloser Marathonläufer Vieles erlebt und zum größten Teil Positives.
Es gibt Hürden, wie beispielweise, wenn ein Organisator bei einer kleinen Laufveranstaltung den Streckenverlauf und die Streckenkennzeichnung erklärt – davon kriege ich meistens nicht viel mit. Ich bin vielmehr auf das Mundablesen angewiesen und oftmals habe ich Schwierigkeiten, wenn gleichzeitig mehrere Leute sprechen.
Eine neue, interessante Erfahrung hatte ich bei meiner Teilnahme beim 100 Meilen in Berlin im letzten Jahr, wo ich als zweiter Läufer für ein Zweier-Team mit 70 km fast durch die ganze Nacht laufend unterwegs war.
Trotz Stirnlampe musste ich mich auf den Laufweg konzentrieren und konnte mich nicht mit jemand anderem unterhalten, denn durch das blendende Licht seiner Stirnlampe kann ich nicht vom Mund ablesen und nicht mit ihm kommunizieren. Das war schon die anstrengendste Phase des Laufes, wo ich vorher damit nicht gerechnet habe. Durch die Nacht waren meistens zwei hörenden Läufer zusammen unterwegs und hatten seinen Smalltalk, um sich wachzuhalten und die Zeit zu vertreiben.
Außerdem schaue ich öfters mal nach hinten, ob Jemand hinter mir läuft oder mich überholen will.
Oft gab es Missverständnisse mit den Reportern bei meinen bisherigen Läufen. Die meisten wollten gern etwas zum Thema Kostümläufer von mir wissen. Viele Pressemitarbeiter schrecken dann aber vor meiner Hörbehinderung zurück und lassen das Thema dann wegfallen – das fand ich immer sehr schade.
Einmal hatte ich eine Anfrage von einem Fernsehteam vom NDR, als ich beim 20. Helgoland Marathon mitgemacht habe. Das Team wollte wissen, wo ich herkomme und warum ich mit Laufkostüm unterwegs bin. Am Ende hatten sie Belgien statt Berlin verstanden und die letzte Frage war der Hammer: „Tragen alle belgische Läufer immer dieses Kostüm?“
So wurde ich schon öfter während meiner Läufe für Interviews aufgenommen und das war schon ein wenig lustig. Es gab noch viele lustige Missverständnisse bei Kurzinterviews mit mir. Damit muss ich bis heute leben. Deswegen werden heutzutage die Gehörlosen in der Gesellschaft auch Augenmenschen genannt, da sie in ihrer Wahrnehmung stark visuell orientiert sind. Ich kann es sehr gut verstehen, dass die Gesellschaft der Hörenden praktisch keine richtige Vorstellung davon hat, wie Gehörlose und hochgradig schwerhörige Menschen heutzutage leben.
Es gibt unendlich viele Fragen, die es sich zu stellen lohnt, um das Unwissen, aber auch unzählige Vorurteile abzubauen.
Viele kennen Dich ja auch, weil Du häufig in Deinem Nadelsteifenanzug und mit Zylinder läufst. Wie ist es dazu gekommen und was hat es damit auf sich. Läufst Du immer damit egal ob Sommer oder Winter?
Es ist schön, dass man mich immer mehr durch mein auffälliges Kostüm mit Hut erkennt. Dadurch werde ich überall schnell als gehörloser Kostümläufer respektvoll begrüßt und das finde ich bis heute wirklich toll und bin dankbar dafür.
Als ich mit dem Laufen begonnen habe, habe ich wie alle anderen Läufer auch, ganz normale Laufbekleidung angezogen. Erst richtig verstanden habe ich das Verkleiden bei der Marathonteilnahme auf der Insel Usedom. Auf der längsten Strandpromenade Europas war ich von Swinemünde, der polnische Hafenstadt, bis nach Bansin etwa 10 km lang mit dem bekannten Berliner Kostümläufer, Henry Grohmann, mit dem weißen Hut unterwegs. Da war ich sofort fasziniert, denn er bekam viel Applaus sowie positive Anfeuerungsgesten und ich war bis dahin nur eine Art begleitender Zuschauer.
Es war so unbeschreiblich schön, denn obwohl man sich gegenseitig nicht kannte, konnte mal schnell eine harmonische Verbindung spüren – egal ob man hörender oder gehörloser Läufer ist.
Henry meinte, daß die positive Aufmerksamkeit von den Zuschauern und . Veranstaltern bis heute noch immer die volle Motivation beim Laufen bei ihm aufrecht erhalten. Da habe ich mir daheim auch lange Gedanken gemacht und habe mich entschieden, in der Zukunft als der gehörlose Kostümläufer auf allen Läufen teilzunehmen.
Bis heute bereue ich das nicht und bin meinem besten Vorbild Henry, mit dem ich heute noch Kontakt habe, sehr dankbar für die Inspiration. Deswegen ist Henry Grohmann für mich der Vater aller Kostümläufer. Ohne ihn wäre meine Bekanntschaft mit der Laufwelt nicht so erlebnisreich gewesen.
Durch diese plötzliche Erkenntnis habe ich dann schnell gemerkt, dass Inklusion auch im Laufsport eine sehr wichtige Rolle spielt. Eines steht fest – Inklusion betrifft uns alle persönlich und ich sehe diesen Begriff sehr wichtig, nicht nur in der heutigen Gesellschaft, sondern auch im Laufsport. Man hat dann nicht das Gefühl, sich beim Laufen als Außenseiter zu fühlen.
Egal, ob jemand anderes oder ich, behinderte Menschen, kranke Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und ältere Menschen ebenso – Jeder Teilnehmer beim Lauf ist als ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft als ein vollwertiges Mitglied anzusehen. Man kann unter dem Begriff vereinfacht die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in allen Bereichen verstehen.
Bis heute komme ich als gehörloser Kostümläufer ohne Probleme zu allen Laufwettbewerben. Keiner fragt mich vorher, welche Religion, welche Behinderung ich habe oder sonst etwas. Alles kommt zu einer wunderbaren Verbindung mit der äußeren Umgebung. Das ist in der Politik anders und nicht zu vergleichen mit dem Laufsport.
Es gibt klar Vor- und Nachteile für mich als Kostümläufer. Ich trage in allen Jahreszeiten mein Kostüm und bisher habe ich genug Erfahrungen damit gesammelt, um mich darauf vorzubereiten.
Wenn es sehr warm wird, habe ich schon erkennbar Probleme mit meiner Körpertemperatur. Darauf muss ich mich dann einstellen, um mich nicht beim Laufen noch mehr zu belasten und dabei sehr viel zu trinken. Ich trainiere in den heißen Sommertagen auch mit langem Laufshirt und habe dann genug Übung mit dem Kostüm. Ich trage dieses Laufkostüm aber nur in Wettkämpfen.
Im Winter wärme ich mich mit vielen Schichten unter dem Laufoutfit und komme bisher gut klar. Ich freue mich schon auf weitere kommende Läufe mit meinem Kostüm und es bleibt sicher weiterhin für mich spannend.
Du läufst ja auch bei vielen großen Laufevents mit. Was sind da die größten Herausforderungen für Gehörlose?
Richtig ist, dass ich auch auf vielen Großveranstaltungen weltweit mitlaufe. Da ich ein leidenschaftlicher Marathontourist bin, möchte ich versuchen, über die Schmerzgrenze hinauszugehen. Meine größte läuferische Herausforderung in diesem Jahr ist die Teilnahme beim Deutschlandlauf im August, wo ich 8 Etappen von Bingen am Rhein (bei Mainz) bis zur Zugspitze laufen möchte – also fast 500 Kilometer. Pro Etappentag entspricht das durchschnittlich 70km.
Ich denke, als gehörloser Ultra-Kostümläufer sehe ich schon eine zusätzliche Herausforderung, da ich an den besonders heißen Sommertagen erheblich Probleme mit den Temperaturen bekommen könnte. Ich sehe mich dort beim Deutschlandlauf aber als lockeren Genussläufer und für mich zählt nur das glückliche Ankommen. Wie schnell ich durch halbes Deutschland laufe, ist für mich unwichtig.
Meine ganze Familie sowie meine Frau, alle sind ebenfalls gehörlos, werden an der Zugspitze auf mich warten und ich sehe diesen Bereich als meinen bescheidenden Zielfokus. Mal schauen, was am Ende dabei heraus kommt. Ich war bis jetzt noch nie als Etappenläufer unterwegs.
Ob die Veranstalter für gehörlose Läufer noch etwas besser machen können? Die wichtigsten Informationen kann man im Internet in den Ausschreibungen nachlesen. Ich persönlich habe also keine Wünsche für die Laufveranstaltungen. Ich bin bis heute rundum zufrieden mit dem Laufen auf allen Großveranstaltungen und in der Not kann man ja bei den anderen vor Ort nachfragen, meistens klappt das schon.
Was für Tipps gibst Du anderen Hörbehinderten, die mit dem Laufen anfangen wollen mit auf den Weg?
Einfach auch als Gehörloser den Mut beim Laufen zeigen! Und in den sozialen Netzwerken kann man mit den Gleichgesinnten das Wissen teilen und sich Motivation holen und einfach mitmachen. Schreiben kann die hörende Gesellschaft sowieso und man braucht für das Laufen oder das online Austauschen nicht die telefonische Kommunikation. Damals, als ich mit dem Laufen angefangen habe, habe ich auch über das sportliche Netzwerk und die Laufapp von runtastic begonnen und so entstand eine wunderbare Unterstützung für mich. Darum bin ich bis heute so vom Laufen fasziniert und kann Jedem ebenfalls empfehlen. Laufen verbindet sowieso, ob man selbst hörend oder gehörlos ist!
Gibt es Informationsquellen rund um das Laufen für Gehörlose, die Du empfehlen kannst?
Soviel ich es weiß, gibt es keine speziellen Informationsquellen rund ums Laufen für die gehörlose Welt. Wie schon gesagt, kann man sich aus den sozialen Netzwerken die notwendigen Informationen holen.
Vielen Dank für das Interview, Robert! Ich wünsche Dir allseits flinke Beine!
Weitere Quellen und Infos rund um das Thema Laufen für Gehörlose
* Deafrunner Blog von Robert Boyde-Wolke (leider inzwischen eingestellt)
* Deutscher Gehörlosen-Sportverband
* European Deaf Sports Organization
* Alexander Bley – Deutscher Meister über 3000m 2017
* Thomas Eller – Six Majors Läufer
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