Energie auf Vorrat – so gelingt euch Carboloading vor Marathon, Triathlon und Radrennen
Ausdauersiege beginnen nicht erst an der Startlinie, sie reifen in den Tagen zuvor in Küche und Kantine. Viele von euch investieren unzählige Stunden in Tempoläufe, Intervallblöcke oder lange Grundlageneinheiten. Doch ohne eine konsequente Strategie für volle Glykogenspeicher verpufft ein Teil dieser harten Arbeit. Carboloading – also das gezielte Füllen der Muskel- und Leberglykogenspeicher mit Kohlenhydraten – verschafft euch genau jenen Treibstoff, der über 90 Prozent der Energie in einem Marathon oder einer Langdistanz generiert. Der folgende Ratgeber entwirrt Mythen, strukturiert komplexe Abläufe und liefert konkrete Handlungsanweisungen, damit ihr beim nächsten Saisonhöhepunkt mit prall gefülltem biologischem Akku an den Start geht.
Was verbirgt sich hinter Carboloading?
Carboloading beschreibt eine Ernährungsstrategie, die den Muskel- und Leberglykogenspeicher in den letzten Tagen vor einem Ausdauerwettkampf maximiert. Ein durchschnittlich trainierter Athlet lagert im Ruhezustand rund 350 g Glykogen in der Muskulatur und 80–110 g in der Leber. Gezielt durchgeführtes Aufladen katapultiert diese Werte auf 500–600 g in den Muskeln und 150 g in der Leber. Ein Gramm Glykogen bindet rund 2,7 g Wasser; so erklären sich die häufig 1 bis 1,5 kg Mehrgewicht, die viele Läufer und Radsportler kurz vor dem Rennen registrieren. Diese Gewichtszunahme bedeutet keineswegs Ballast, sondern stellt ein hochrelevantes Notstromaggregat dar: Glykogen liefert pro Gramm etwa 4,1 kcal, folglich parkt ihr mit vollen Speichern bis zu 3.100 kcal direkt in den Fasern – leicht verfügbar, rasch mobilisierbar und entscheidend während der Phase, in der Fettverbrennung allein nicht mehr hinterherkommt.

Die physiologischen Grundlagen – Glykogen als Hochleistungsakku
Glykogen besteht aus Glukosemolekülen, die in verzweigten Ketten abgespeichert werden. Während Fettdepots zwar immens sind, geschieht dessen Verwertung in aerober Umgebung deutlich langsamer. Sobald ihr das Renntempo erhöht, schaltet der Organismus bevorzugt auf Kohlenhydratverbrennung, da hier zwar weniger Energie pro Gramm lagert, sie jedoch blitzartig bereitsteht. Gleichzeitig steuert die Leber den Blutzuckerspiegel, indem sie während längerer Belastung Glykogen abbaut. Sinkt der Blutzucker, droht der gefürchtete Hungerast: Symptome reichen von Schwindel über Konzentrationsverlust bis zu muskulärer Dysfunktion. Wer Carboloading korrekt plant, setzt ein klares Signal an den Stoffwechsel: „Energie im Überfluss vorhanden – Leistung darf eskalieren.“
Sieben Tage vor dem Start – die klassische Depleting-Loading-Strategie
In den 1970er-Jahren prägten skandinavische Wissenschaftler das damals innovative Zwei-Phasen-Konzept. Es verbindet eine kurze entleerende Periode mit anschließender massiver Zufuhr. Der Zeitplan sieht folgendermaßen aus:
– Tag 7 bis Tag 5 vor dem Rennen: Reduziertes Kohlenhydratangebot (etwa 2 g pro kg Körpergewicht) plus lange Trainingsbelastung, die die Speicher leert
– Tag 4 bis Tag 2: Deutlich gesteigerte Zufuhr (8–10 g pro kg), gleichzeitig stark reduziertes Trainingsvolumen
– Tag 1: Beibehaltung des hohen Carbs-Levels bei kompletter Ruhe oder maximal „Shake-out-Run“ von 20 Minuten
Das Prinzip wirkt, weil eine geschwächte Glykogenlage die Aktivität des Enzyms Glykogen-Synthase anhebt. Sobald ihr im zweiten Abschnitt große Mengen Pasta, Reis, Kartoffeln oder süße Flakes esst, presst diese enzymatische Turbopumpe Glukose ungebremst in jede Faser. Nachhaltig trainierte Ausdauersportler tolerieren rund 10 g Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpermasse – ein 70-kg-Läufer erreicht also 700 g Kohlenhydrate oder rund 2.800 kcal allein aus Carbs. Wer solch massive Mengen ungeübt konsumiert, aktiviert gelegentlich Magen-Darm-Probleme. Verträglichkeit wächst wie jede Trainingseinheit: durch Wiederholung. Testet die Prozedur daher vor weniger wichtigen Rennen oder während intensiver Trainingswochen, nicht erstmals unmittelbar vor dem Saisonhighlight.
Der moderne Ansatz – kontinuierliches Aufladen ohne Hungerast
Viele Trainer raten inzwischen zum „Step-Loading“. Ihr verzichtet hier auf eine harte Entleerungsphase. Stattdessen steigert ihr ab Tag 5 sukzessive den Kohlenhydratanteil, während das Trainingsvolumen allmählich sinkt. Die Methode reduziert Verdauungsstress, erhält das Immunsystem stabil und vermeidet Stimmungsabfall, der unter geringer Carbzufuhr oft auftritt. Praktisch bedeutet das:
Tag 5: 6 g Kohlenhydrate/kg
Tag 4: 7 g
Tag 3: 8 g
Tag 2: 9 g
Tag 1: 10 g
Parallel rutscht der Proteinanteil moderat nach unten, da die Gesamtkalorienzahl nicht ins Unendliche wachsen soll. Fett braucht ihr nun vor allem als Geschmacksträger; reduzierte Mengen genügen. Vollkornprodukte, Rohkost und Hülsenfrüchte liefern zwar wertvolle Mikronährstoffe, reizen aber den Darm und verbinden sich im ungünstigen Moment mit üppiger Ballaststoffmenge. Greift ab Tag 3 lieber zu leicht verdaulichen Quellen: geschälter Basmatireis, weich gekochte Nudeln, Toast, Polenta oder Reiswaffeln. Dadurch entlastet ihr den Gastrointestinaltrakt und minimiert Toilettenstopps im Rennen.

Essentielle Details – Ballaststoffe, Elektrolyte, Flüssigkeit
Carboloading umfasst mehr als Grammzählerei. Wasser und Natrium müssen gleichermaßen an Bord sein, da Glykogen nur in Gegenwart von Wasser eingelagert wird. Jede Steigerung um 100 g Kohlenhydrate zieht mehr als 250 g Flüssigkeit nach sich. Wer kohlenhydratreich isst, aber gleichzeitig zu wenig trinkt, verschenkt Speicherkapazität und riskiert Kopfschmerzen. Zielt auf 35–40 ml Flüssigkeit pro Kilogramm Körpergewicht an Tagen 3 bis 1 vor dem Wettkampf, verteilt auf Wasser, mild isotone Getränke oder verdünnte Fruchtsäfte. Zuckerhaltige Brausen erledigen den Job, ziehen jedoch massenhaft schnell verfügbare Saccharose ein, damit springt der Blutzucker Achterbahn.
Elektrolyte verankern Wasser im Organismus. Salzlose Gerichte spülen das hinzugeführte Wasser rasch über die Nieren hinaus. Salzmandeln, Brühe oder ein bewusst nachgesalzener Teller Nudeln erhöhen die Retentionsquote. Auch Kalium spielt mit: Bananen, Aprikosen und Kartoffeln liefern reichlich davon. Gleichzeitig bessert Vitamin B1 (Thiamin) die Verwertung von Kohlenhydraten, weshalb Vollkornreis vor der Reduktionsphase und angereicherte Frühstücksflocken im Final-Taper exzellente Helfer abgeben.
Praktische Umsetzung – so packt ihr den Teller richtig
Viele Athleten fühlen sich von Grammangaben oder Prozentrechnungen überfordert. Deshalb folgt nun eine pragmatische Umsetzungsvariante. Stellt Euch einen großen Teller vor. Gewohnt ihr euch ein Bildsystem an, greift die Routine schon beim ersten Testversuch.
Aufteilung für Tag 3 bis Tag 1:
– 70 % des Tellers: Kohlenhydratquelle (nicht paniert, nicht frittiert)
– 15 %: leicht verdauliche Proteinträger (Hüttenkäse, Magerquark, helles Geflügel)
– 10 %: gegarter, ballaststoffarmer Gemüseanteil (z. B. Zucchini, geschälte Karotten)
– 5 %: Fette (Olivenöl, Butterflöckchen oder Avocadostreifen)
Plottet dieses Bild bei jeder Mahlzeit, ergänzt Snacks wie Rosinenbrötchen oder Reisschnitten, und das Carboloading läuft automatisch.
Timing und Mahlzeitenfrequenz
Muskeln nehmen Glukose nicht in unbegrenzter Geschwindigkeit auf. Wer die komplette Tagesmenge in zwei Mahlzeiten stopft, belastet Darm und Insulinregulation. Optimal erscheinen sechs kleinere Mahlzeiten. Startet mit einem kohlenhydratdominierten Frühstück, dosiert über den Tag jede zweite Stunde 70–90 g Carbs, sodass sich abends kein unüberwindbarer Berg auftürmt.
Frühstücksidee Tag 3: Pfannkuchen aus Weißmehl und Eiern mit Ahornsirup, dazu eine Banane.
Snack: Weiße Rosinen, Salzbrezeln und ein Glas Apfelsaftschorle.
Mittag: Polenta mit gedünsteter Hühnerbrust, leichter Tomatensoße.
Snack: Porridge aus Instant-Hafer, eingerührt in fettarme Milch.
Abendessen: Weich gekochte Pasta, ein Klecks Butter, etwas Parmesan, dazu gedämpfte Zucchini.
Spät-Snack: Reiswaffeln mit Honig.

Zwei Spezialfragen – Koffein und Gluten
Viele von euch schlürfen gern Kaffee. Koffein stimuliert Lipolyse und zentralnervöse Aktivität. Während Carboloading bleiben 2–3 Tassen pro Tag völlig in Ordnung. Zu hohe Dosen spülen Calcium aus und wirken leicht diuretisch, also Finger weg von übermäßigem Espresso-Dauerinfusionen.
Glutenfreiheit wird oft aus vermeintlicher Leistungsoptimierung heraus praktiziert. Wer keine diagnostizierte Zöliakie oder Weizensensitivität aufweist, verliert durch strikte Glutenvermeidung viele bewährte Carbs-Quellen. Pasta, Bulgur, Fladenbrot oder Bagels liefern praxiserprobte Energie. Entscheidet selbst, doch zwingt euch nicht prophylaktisch in eine Restriktion, die den Alltag verkompliziert.
Supplemente – wann lohnt sich Pulver?
Besonders leichte Athleten erreichen die Zielwerte von 9–10 g Kohlenhydraten pro Kilogramm oft nur schwer. Isotonische Getränke, Maltodextrin-Pulver oder Energydrinks verschaffen Entlastung. Maltodextrin schmeckt neutral, löst sich warm wie kalt, und enthält komplexe Glukoseketten, die den Blutzucker weniger rasant ansteigen lassen als Traubenzucker. Ein 60-g-Shake in 400 ml Wasser liefert exakt 240 kcal Carbs, rutscht fast widerstandslos durch den Magen und verkürzt Kauarbeit. Gels eignen sich erst am Wettkampftag; sie liefern dichte Energie, aber in hoher Konzentration, was abends auf dem Sofa nur unnötige Insulinspitzen hervorruft.

Der letzte Abend – Ritual ohne Experiment
Das klassische „Pasta-Fest“ lebt weniger vom Teller als vom mentalen Einschwingen. Ihr sitzt gemeinsam mit Crew, Familie oder Teamkollegen, lacht, spürt kollektive Vorfreude. Der Teller Nudeln erfüllt dabei eine Doppelrolle: Glukoselieferant und emotionaler Anker. Achtet darauf, die Portion nicht zu groß zu wählen. Ein leichtes Völlegefühl stört nächtliche Regeneration. Zwei Handvoll gekochte Pasta (rund 120 g trocken) plus etwas Sauce decken nochmals etwa 90 g Carbs ab, anschließend stillt ein kleines Dessert – zum Beispiel Milchreis mit Zimt – letzte mentale Gier. Alkoholfreies Bier bringt 5–7 g Carbs pro 100 ml und fügt wertvolle B-Vitamine hinzu.
Der Wettkampfmorgen – Schlussakkord des Loadings
Direkt nach dem Aufstehen füllt ihr die in der Nacht geleerten Leberglykogenreserven. Eine leicht verdauliche Mahlzeit drei Stunden vor dem Start wirkt ideal. Ein Brötchen mit Honig, dazu ein reifer Banane und 300 ml isotonisches Getränk decken 100–110 g Kohlenhydrate. Bis 15 Minuten vor dem Startschuss hilft ein kleiner koffeinhaltiger Gel-Shot (25 g Carbs, 50 mg Koffein), dann steht jede Stoffwechselstraße auf Grün.
Vollgas aus gefüllten Speichern
Wer in den letzten fünf bis sieben Tagen vor dem Wettkampf zielgerichtet Kohlenhydrate stapelt, baut einen Treibstoffvorrat auf, der euch über die entscheidenden Kilometer trägt. Volle Glykogenspeicher stabilisieren den Blutzucker, verzögern muskuläre Ermüdung und erlauben ein gleichmäßig hohes Tempo. Ihr braucht weder exotische Wundermittel noch komplizierte Nährstofftabellen, sondern eine planvolle Aufteilung von Mahlzeiten, eine klare Erhöhung der Kohlenhydratmenge, ausreichendes Salz und reichlich Flüssigkeit. Ergänzt ihr diesen Fahrplan mit funktionierendem Trainingstaper, reibungsloser Logistik und mentaler Gelassenheit, steht am Renntag ein Gesamtkunstwerk bereit: Ein Körper, dessen Muskelzellen vor Energie überquellen, und ein Geist, der Lust auf Geschwindigkeit verströmt.
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